25.11.2014 - Kategorie "Insolvenzgeschehen allgemein"

Anfechtungsrecht kein Sanierungskiller, aber es führt zu großer Unsicherheit

Das sechste Berliner Restrukturierungsforum

Das sechste Berliner Restrukturierungsforum widmete sich am 18. November dem spannenden Thema „Insolvenzanfechtung: Gläubigerschutz vs. Sanierungskiller“.


100 Gäste verfolgten die lebhafte Diskussion. Fazit am Ende der Veranstaltung: Das Anfechtungsrecht verhindert die Sanierung nicht, jedoch – so war sich die Mehrheit der Diskutanten einig – kann es diese behindern oder deutlich erschweren.

Eröffnet wurde der Abend mit einem Impulsvortrag von Dr. Lars Westpfahl, Rechtsanwalt und Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, der gleich zu Beginn klar stellte, dass das Anfechtungsrecht zu Recht stark in die Kritik geraten sei. Er stellte die verschiedenen Positionierungen von Interessengruppen wie BDI & ZDH, BGA, BDB & BDS und Gravenbrucher Kreis dar und erläuterte im Gegenzug dazu das im September 2014 veröffentlichte Papier „Eckpunkte für eine Reform des Anfechtungsrecht“ des BMJ.

Das größte Problem aus seiner Sicht: Die vom BGH entwickelte Gesamtwürdigung im Einzelfall ermöglicht Einzelfallgerechtigkeit, führt aber zu großer Unvorhersehbarkeit und damit fehlender Transaktionssicherheit. Diese kasuistische Rechtsprechung hält er für sehr problematisch.

Thomas Harbrecht, Rechtsanwalt und Mitglied der Direktion der Euler Hermes Deutschland AG (nunmehr firmierend unter Euler Hermes Deutschland Niederlassung der Euler Hermes SA), rechnet wegen der derzeitigen Entwicklung des Gesetzgebungsverfahren nicht mehr mit einer zeitnahen Änderung der Insolvenzordnung. Er berichtete darüber, dass der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GdV) ebenfalls ein Positionspapier zur Reform der Insolvenzanfechtung veröffentlicht hat. Die Forderungen decken sich größtenteils mit den anderen Positionspapieren. Als weitere Maßnahme hat Euler Hermes mit der Anfechtungsversicherung ein neues Produkt am Markt platziert, mit dem die durch eine bestehende Warenkreditversicherung bereits gegebene Deckung um ein Zusatzlimit für angefochtene Forderungen ergänzt werden kann. „Wir haben damit auf die Forderungen unserer Kunden reagiert, die hohe wirtschaftliche Risiken tragen müssen und eine große Rechtsunsicherheit verspüren. Mit dem Ergänzungsbaustein geben wir ihnen Komfort und mehr Rechtssicherheit“, so Harbrecht.


Martin Unverdorben, Rechtsanwalt und Senior Counsel der Deutsche Bank AG in Berlin, stellte zunächst vier Fallgruppen dar, in denen für Banken das Risiko der Vorsatzanfechtung relevant ist. Führe eine Bank den Zahlungsverkehr für den späteren Insolvenzschuldner aus und beschränke sie sich hierbei auf ihre bloße Rolle als Zahlstelle, komme eine Anfechtung nach der Rechtsprechung des BGH nicht in Betracht. Das gleiche gelte bei der Nachbesicherung in der Krise des Kunden, sofern ein ernsthafter und durch einen professionellen Sanierungsberater unterstützter Sanierungsversuch vorliege; in diesem Fall fehle es nach der Rechtsprechung schon am Gläubigerbenachteilungsvorsatz des Schuldners. Nach seiner Erfahrung versuchen Insolvenzverwalter in letzter Zeit aber verstärkt, diese Rechtsprechung auszuhebeln, indem sie die Tragfähigkeit der Sanierungskonzepte angriffen. Sollte sich dieser Trend verstärken, könne dies zu Unsicherheit in der Sanierungssituation führen. Schwierig zu handhaben für Banken seien die Fälle, in denen Gewerbetreibende und kleine Firmen ihre Kreditraten nicht zu den vereinbarten Terminen und nur nach wiederholten Aufforderungen zahlten. Hier würden Banken im Fall der späteren Insolvenz des Kunden regelmäßig mit Vorsatzanfechtungen konfrontiert. Die Vorsatzanfechtung vermeiden könnten die Banken nach der Rechtsprechung nur durch eine frühzeitige Kündigung der Kredite – was aber weder im Interesse der Kreditnehmer noch der Banken sei. In noch stärkerem Maß trete dieses Dilemma bei Verbraucherkrediten auf, da zum einen eine Kündigung des gesamten Kredits noch viel enger limitiert sei, als dies bei Unternehmen der Fall sei, und zum anderen eine Kündigung auch rechtspolitisch nicht erwünscht sei. In den letztgenannten Fallgruppen sei eine gesetzgeberische Korrektur wünschenswert.


Dr. Gerrit Heublein, Rechtsanwalt, Wellensiek Rechtsanwälte Partnerschaft, ist der Ansicht, dass die Diskussion über das Eckpunktepapier viel zu aufgeregt geführt wird und eine Änderung des Insolvenzanfechtungsrechts nicht unbedingt notwendig sei. Denn die Rechtsprechung habe bereits Lösungen vorgelegt. Das sieht Dr. Westpfahl etwas anders: „Der BGH findet häufig eine angemessene Lösung für den Einzelfall. Aber das ist nicht vorhersehbar“. Eine Sanierung sei vor diesem Hintergrund schwer planbar und damit erheblich erschwert.


Doch auch nach intensiver Diskussion bleibt Dr. Heublein dabei: Das Anfechtungsrecht verhindert eine Sanierung nicht. Die Rechtsprechung werde es richten und im Grunde könne man alles auf Grundlage der vorhandenen Gesetze regeln. Ein Problem sei aber, so schränkt er ein, dass es im Augenblick noch zu wenig Rechtsprechung – also Fallmaterial – gebe. Beispielsweise zur oft diskutierten Problematik, was ein seriöser Sanierungsansatz bzw. ein belastbares Sanierungskonzept sei. Aber die Unsicherheit aller Beteiligten liege nicht am Anfechtungsrecht, sondern an der schwierigen Situation in der Krise oder in der Insolvenz als solches.


Alle Podiumsteilnehmer sind sich am Ende dann doch in einem einig: Das Anfechtungsrecht per se ist kein Sanierungskiller. Aber: „Das größte Problem ist der Kollateralschaden, der durch massenweise Anfechtungsklagen von Insolvenzverwaltern entsteht, deren Ausgang unvorhersehbar ist“, so Dr. Westpfahl.


Das Berliner Restrukturierungsforum brachte mit seiner sechsten Veranstaltung erneut 100 Experten der Sanierungsbranche zusammen. Die Organisatoren, Dr. Kirsten Schümann-Kleber von GÖRG Rechtsanwälte, Burkhard Jung von hww wienberg wilhelm und Dr. Gunnar Gerig von der Ernst & Young GmbH, freuten sich über die diskussionsreiche Veranstaltung und den großen Zuspruch. Das Berliner Restrukturierungsforum ist eine Plattform für Experten der Branche und wird von hww wienberg wilhelm, GÖRG Rechtsanwälte Partnerschaft mbB und Ernst & Young GmbH in Berlin veranstaltet. Es bringt zwei Mal pro Jahr alle an der Sanierung eines Unternehmens Beteiligten zusammen. Hochrangige Gäste stellen aus verschiedenen Blickwinkeln ein aktuelles Thema vor und teilen ihr Expertenwissen mit den Gästen in der Diskussion. Mehr unter: www.berliner-restrukturierungsforum.de. Die nächste Veranstaltung findet im Frühjahr 2015 statt


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