Insolvenzrecht reloaded
Welche Punkte Geschäftsleiter ab dem 1. Januar 2024 bei der Insolvenzantragspflicht beachten müssen
Die
gesetzlichen Lockerungen beim Insolvenzgrund der Überschuldung laufen zum
Jahresende 2023 ersatzlos aus. „Die Insolvenzantragspflicht greift ab dem 1.
Januar 2024 wieder in vollem Umfang. Ein Unternehmen muss dann nachweisen
können, dass es die nächsten zwölf Monate durchfinanziert ist, um keinen
Insolvenzantrag wegen Überschuldung stellen zu müssen“, erläutert Dr. Jürgen
Erbe einen der zentralen Punkte, die Punkte Geschäftsleiter ab dem 1. Januar
2024 bei der Insolvenzantragspflicht beachten müssen. Der Fachanwalt für
Insolvenz- und Sanierungsrecht ist am Mannheimer Standort der bundesweit
vertretenen Kanzlei Schultze & Braun tätig. „Wenn klar ist, dass ein
Unternehmen für die kommenden zwölf Monate nicht durchfinanziert ist, müssen
Geschäftsleiter innerhalb der gesetzlichen Frist einen Insolvenzantrag stellen
– gerade auch, um sich vor einer möglichen persönlichen Haftung zu schützen“,
sagt Erbe.
Höchstfrist von sechs Wochen für eine außerinsolvenzliche Sanierung
Die Höchstfrist für einen Insolvenzantrag wegen Überschuldung umfasst ab dem 1. Januar 2024 wieder sechs Wochen. Unternehmen können während dieser Zeit eine außerinsolvenzliche Sanierung – zum Beispiel auf Basis eines nachvollziehbaren und belastbaren Restrukturierungsplans – angehen, auch wenn sie für die kommenden zwölf Monate nicht durchfinanziert sind. „Für Geschäftsleiter ist aber wichtig, dass sie die Frist nicht ausschöpfen, wenn bereits während der sechs Wochen-Frist feststeht, dass die Überschuldung mit der außerinsolvenzlichen Sanierung aller Voraussicht nach nicht beseitigt werden kann.“
Im Übrigen ist
bei Vorliegen einer bilanziellen Überschuldung, etwa bei Aufzehrung des
Eigenkapitals durch wiederholte Verluste, auch die Vorfrage der
Fortführungsprognose zu beantworten. Diese stützt sich unter anderem auf die
Analyse der Ausgangslage mit Benennung der Krisenursachen. Bei einer positiven
Fortführungsprognose ist die Durchfinanzierung gegeben, falls die
Wahrscheinlichkeit für Finanzplanüberhänge durchgehend höher ist als für nicht
deckbare Finanzplandefizite.
Persönliche finanzielle Haftung vermeiden
Dass der Zeitraum für die Durchfinanzierung eines Unternehmens mit dem Jahreswechsel wieder zwölf Monate beträgt, führt dazu, dass die Überschuldung als Insolvenzgrund wieder an Bedeutung gewinnt.
Die
Zahlungsunfähigkeit wird aber auch weiterhin der mit Abstand häufigste Grund
für Unternehmensinsolvenzen bleiben. Da die wirtschaftliche Erholung weiterhin
auf sich warten lässt, sollten sich Geschäftsleiter daher – so hart das
zunächst klingen mag – regelmäßig auch mit der Frage „Ist mein Unternehmen noch
zahlungsfähig?“ befassen. „Denn die Antwort auf diese Frage hat nicht nur für
das Unternehmen, sondern gerade auch für Geschäftsleiter in Bezug auf ihre
persönliche finanzielle Haftung eine große Bedeutung – Stichwort
Insolvenzverschleppung“, sagt Erbe, der bereits zahlreiche Unternehmen und
Geschäftsleiter in Krisensituationen beraten und unterstützt hat.
Drei Wochen bis zum Insolvenzantrag
Grundsätzlich
gilt: Kann ein Unternehmen seine fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr
begleichen, ist es zahlungsunfähig. In einem solchen Fall ist ein
Geschäftsleiter dazu verpflichtet, innerhalb der gesetzlichen Frist – in der
Regel drei Wochen – einen Insolvenzantrag zu stellen.Doch ab wann ist ein
Unternehmen aus rechtlicher Sicht zahlungsunfähig? „Zahlungsunfähigkeit liegt
nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn das Unternehmen zu einem
Stichtag zehn Prozent oder mehr seiner fälligen Verbindlichkeiten mit den
präsenten liquiden Mitteln nicht begleichen kann und diese Lücke auch nicht
innerhalb von drei Wochen unter Beachtung der in dieser Zeit fällig werdenden
Verbindlichkeiten mit den in diesem Zeitraum zusätzlich verfügbar werdenden
liquiden Mitteln schließen kann“, erläutert Diplom-Kaufmann (FH) und
Kreditanalyst Stefan Höge von Schultze & Braun am Standort Hannover.
Zahlungsunfähig oder nicht?
„Ob ein
Unternehmen zahlungsunfähig ist oder nicht, lässt sich für den jeweils
aktuellen Tag mit der sogenannten erweiterten Liquiditätsbilanz feststellen,
die als Methode seit inzwischen fast 20 Jahren etabliert ist“, sagt Höge, der
sich seit dem Jahr 1994 mit der Frage des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit
befasst. „Wenn klar ist, dass die Geldmittel zu einem bestimmten
Betrachtungsstichtag und auch perspektivisch in den nächsten drei Wochen die
fälligen Verbindlichkeiten nicht vollständig abdecken, ist das Unternehmen
bereits zum Betrachtungsstichtag zahlungsunfähig.“ Da für die Feststellung der
Zahlungsunfähigkeit eine komplexe Berechnung notwendig ist, sollten
Geschäftsleiter für die Antwort auf die Frage „Ist mein Unternehmen noch
zahlungsfähig?“ durchaus professionelle Hilfe zu Rate ziehen, damit sie das
Risiko einer persönlichen Haftung für sich reduzieren.
Vereinfachte Methode mit Risiken
„Daran ändert
auch nichts, dass der Bundesgerichtshof im Sommer 2022 in einer
Leitsatzentscheidung eine vereinfachte Methode zur Feststellung der
Zahlungsunfähigkeit ermöglicht hat, die jedoch für Unternehmen und gerade auch
für Geschäftsleiter durchaus mit Risiken verbunden ist“, sagt Höge. Nach der
BGH-Entscheidung ist es möglich, an mehreren Stichtagen innerhalb eines
dreiwöchigen Zeitraumes jeweils einen vereinfachten Liquiditätsstatus zu
erstellen. In diesem vereinfachten Status, der dem ersten Schritt der
erweiterten Liquiditätsbilanz entspricht, werden die am jeweiligen Stichtag
konkret vorhandenen Geldmittel (Kasse, Bank und an dem Tag zufließende Gelder
aus dem Einzug von Forderungen) und die konkret zum jeweiligen Stichtag
fälligen und unbezahlten Verbindlichkeiten einander gegenübergestellt. Wenn
sich an drei weiteren aufeinanderfolgenden Stichtagen innerhalb eines drei
Wochen-Zeitraumes bei dieser Gegenüberstellung herausstellt, dass die
Liquiditätslücke jeweils zehn Prozent oder mehr beträgt, gilt das Unternehmen
sogar rückwirkend ab dem ersten Stichtag als zahlungsunfähig.
Ungewollte Insolvenzverschleppung und das Damoklesschwert der Haftung
Für Geschäftsleiter erhöht die vereinfachte Methode also das Risiko einer ungewollten, aber gleichwohl strafbaren Insolvenzverschleppung. Denn sie stellen dabei erst mit dem letzten Liquiditätsstatus nach drei Wochen fest, ob ihr Unternehmen bereits zum ersten Stichtag, also drei Wochen zuvor, zahlungsunfähig war. Es ist damit bereits ein beträchtlicher Zeitraum mit eingetretener Zahlungsunfähigkeit vergangen. Es kann daher sein, dass ein Geschäftsleiter erst am letzten Tag der drei Wochen-Frist erfährt, dass er zur Vermeidung von strafrechtlicher und zivilrechtlicher Haftung noch an diesem Tag einen Insolvenzantrag stellen muss, was angesichts der dafür notwendigen Zeit quasi unmöglich ist.
Das Risiko der vereinfachten Methode liegt laut Höge zudem darin, dass sie tendenziell zu verkürzten Berechnungen führt, zukunftsgerichtete Finanzpläne als Instrumente des in der Krise gebotenen verschärften Controllings nicht einbezieht, einen Überhang an fällig werdenden Verbindlichkeiten nicht erkennen lässt und darüber hinaus kurzfristige Zahlungsstockungen nicht abbilden kann. Geschäftsleiter sollten daher auf der Grundlage der ordnungsgemäßen Buchführung weiterhin die erweiterte Liquiditätsbilanz einsetzen und die Finanzpläne berücksichtigen – gerade auch, um bei der Antwort auf die Frage „Zahlungsunfähig oder (noch) nicht?“ für ihr Unternehmen und sich selbst auf der sicheren Seite zu sein.
Grundsätzlich
gilt: Geschäftsleiter sollten eine notwendige Restrukturierung oder Sanierung
rechtzeitig angehen, wenn ihr Unternehmen noch Reserven hat. Wenn
Gegenmaßnahmen frühzeitig eingeleitet werden, bestehen bessere Chancen auf
einen erfolgreichen und nachhaltigen Ausgang. Einfach abzuwarten und auf eine
baldige Besserung der Konjunktur und der wirtschaftlichen Gesamtlage zu setzen,
ist keine sinnvolle Strategie. Geschäftsleiter, deren Unternehmen sich in einer
Krise befindet oder absehbar darauf zusteuert – was unter anderem an der
zunehmenden Ausschöpfung der gewährten Kontokorrentlinien erkennbar ist –
sollten auch eine Neuaufstellung mit Hilfe des Sanierungsrechts, das
unterschiedliche Verfahren und Instrumente bietet, zumindest als Option ansehen.
Über
Schultze & Braun
Mit über 500 Mitarbeitern an
über 30 Standorten in Deutschland und dem europäischen Ausland unterstützt
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