BGH: Teilunwirksamkeit des Rahmenvertrages für Finanztermingeschäfte
Teilunwirksamkeit des Rahmenvertrages für Finanztermingeschäfte, soweit dieser § 104 InsO widerspricht
Die Parteien streiten nach dem Eintritt der Insolvenz über das Vermögen
der beklagten Bank um Ansprüche aus zuvor geschlossenen
Optionsgeschäften.
Die Klägerinnen hatten mit der beklagten Bank, einer Handelsgesellschaft
englischen und walisischen Rechts, Aktienoptionsgeschäfte geschlossen.
Die Klägerinnen räumten der Beklagten Kaufoptionen für SAP-Aktien
dergestalt ein, dass die Beklagte das Recht hatte, zu einem bestimmten
Stichtag eine bestimmte Anzahl dieser Aktien zu einem bestimmten
Kaufpreis (Ausübungspreis) zu erwerben. Die Option sollte als ausgeübt
gelten, wenn der Börsenkurs der Aktien am Stichtag höher oder gleich dem
vereinbarten Ausübungspreis sein würde. Andernfalls sollten die
Optionen verfallen. Dem Vertrag lag unter anderem der "Rahmenvertrag für
Finanztermingeschäfte" zugrunde. Dieser beruht auf dem vom deutschen
Bundesverband Deutscher Banken publizierten Muster "Deutscher
Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte".
Am 15. September 2008 wurde über das Vermögen der beklagten Bank beim
zuständigen High Court of Justice in London das Insolvenzverfahren
eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt war zwischen der Beklagten den Klägerinnen
jeweils noch ein Optionsgeschäft mit Ausübungsstichtag 18. Dezember
2009 über jeweils 2 Mio. SAP-Aktien zu einem Kaufpreis in Höhe von 36,10
€ je Aktie offen. Der Schlusskurs der SAP-Aktie belief sich am 15.
September 2008 auf 38,15 €. Am 18. Dezember 2009, dem vorgesehenen
Stichtag, betrug der Schlusskurs 32,205 €.
Die Parteien streiten darüber, welche Auswirkungen die Insolvenz der
Beklagten vor dem Hintergrund der Regelungen des Rahmenvertrages und den
Vorschriften der Insolvenzordnung hat. Die Beklagte errechnete auf der
Basis des Rahmenvertrages für sich einen Ausgleichsanspruch in Höhe von
12,974 Mio. € je streitgegenständlichem Optionsgeschäft und verweigerte
vor diesem Hintergrund die Herausgabe der verpfändeten Aktien. Das
Landgericht hat die entsprechende Widerklage der Beklagten abgewiesen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht dem Anspruch der
Bank bis auf einen kleinen Teil stattgegeben.
Es ist mit dem Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Beklagten
gegenüber den Klägerinnen ein Anspruch in Höhe des Marktpreises der
Option zusteht. Dies folge allerdings nicht aus dem Rahmenvertrag,
sondern aus § 104 Abs. 2 und 3 InsO. Maßgebend sei der Marktpreis am 17.
September 2008.
Der Senat ist davon ausgegangen, dass das in § 104 InsO geregelte
Ausgleichsregime im Insolvenzfall gegenüber dem Rahmenvertrag vorrangig
ist. Dies ergibt sich aus § 119 InsO, wonach Vereinbarungen, die wie die
Vorliegende im Voraus die Anwendung von § 104 InsO beschränken,
unwirksam sind. Danach ist die Vereinbarung unwirksam, soweit die darin
vorgesehene Berechnungsmethode für den Ausgleichsanspruch im
Insolvenzfall von § 104 Abs. 2 und 3 InsO abweicht. Es sei
widersprüchlich, wenn einerseits die Masse durch § 104 Abs. 2 InsO
geschützt werden solle, indem diese Vorschrift kein
Insolvenzverwalterwahlrecht vorsehe, andererseits die Parteien gerade
diesen Zweck des Masseschutzes durch individualvertragliche
Vereinbarungen umgehen könnten, die eine vom Gesetz zu Lasten der Masse
abweichende Berechnungsweise des Ausgleichsanspruchs vorsehen.
Insbesondere die im Rahmenvertrag, nicht jedoch in § 104 Abs. 3 InsO
vorgesehene Beschränkung eines von der solventen Partei auszugleichenden
finanziellen Vorteils auf den von der insolventen Partei erlittenen
Schaden wäre geeignet, das durch § 104 Abs. 3 InsO gewährleistete Niveau
des Masseschutzes abzusenken. Der Umstand, dass in § 104 Abs. 2 Satz 3
InsO Rahmenverträge über Finanzdienstleistungen erwähnt werden, eröffne
nicht die Möglichkeit, über den in dieser Vorschrift vorgesehenen
Regelungsrahmen hinaus Abweichungen von § 104 InsO vertraglich
vorzusehen.
Die Anwendung des § 104 InsO führe auch nicht zu einem unter
Gerechtigkeitsgesichtspunkten untragbaren Ergebnis, weil die Klägerinnen
grundsätzlich im Anschluss an den Insolvenzzeitpunkt eine entsprechende
Zahl von Optionen mit demselben Stichtag an Dritte hätten verkaufen und
so Erlöse hätten erzielen können, die ebenso hoch gewesen wären wie die
der Beklagten zu erstattende Ausgleichsforderung. Die Lage der
Klägerinnen hätte dann derjenigen entsprochen, die ohne die Insolvenz
der Beklagten bestanden hätte.
Die Vorschrift des § 104 Abs. 3 InsO macht den Anspruch der Masse wegen
Nichterfüllung nicht davon abhängig, dass tatsächlich ein in gleicher
Weise gesichertes Deckungsgeschäft abgeschlossen werden konnte. § 104
InsO gibt eine abstrakte Berechnungsmethode für die Forderung wegen
Nichterfüllung vor. Der Partei, die am maßgeblichen Stichtag "im Geld"
steht, soll der durch die Vertragsbeendigung verloren gegangene Vorteil
nach Marktpreisen erstattet werden.
Aufgrund der Regelung des § 104 Abs. 2 InsO endet das Finanzgeschäft
automatisch. Will eine Vertragspartei die gewünschten Wertpapiere
weiterhin am vereinbarten Stichtag erhalten oder weiterhin am
vereinbarten Stichtag zur Lieferung verpflichtet sein, muss sie ein
Ersatzgeschäft abschließen.
Da sich die Ausgleichsforderung nach § 104 Abs. 3 InsO und nicht nach
der unwirksamen Nr. 8 Abs. 1 des Rahmenvertrages richtet, hätte das
Berufungsgericht bei seiner Berechnung aber nicht auf den 15. September
2008 abstellen dürfen, sondern gemäß § 104 Abs. 3 Satz 2 InsO auf den
zweiten Werktag nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, also auf den 17.
September 2008. Die Berechnung des Berufungsgerichts begegnete im
Übrigen aus weiteren prozessualen Gründen rechtlichen Bedenken.
Der Senat hat deshalb das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
Im Rahmen der nachzuholenden Beweisaufnahme zum Marktwert der Optionen
am 17. September 2008 wird das Berufungsgericht zu klären haben, ob die
Ermittlung eines Marktwertes der Option überhaupt möglich ist. Für den
Marktpreis ist nicht die Handelbarkeit der Option maßgeblich, sondern
die bestehende Möglichkeit einer Ersatzeindeckung für denselben
Ausübungsstichtag. War eine solche Ersatzeindeckung nicht möglich,
besteht auch kein Ausgleichsanspruch.
Vorinstanzen:
LG Frankfurt am Main - 2-18 O 374/10 – Entscheidung vom 22. August 2012
OLG Frankfurt am Main - 16 U 183/12- Entscheidung vom 5. Dezember 2013
BGH-Urteil vom 9. Juni 2016, Az.: IX ZR 314/14
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