Überschuldung reloaded
Welche Punkte Geschäftsleiter ab dem 1. September bei der Insolvenzantragspflicht beachten sollten
Durch das
sanierungs- und insolvenzrechtliche Krisenfolgenabmilderungs-gesetz, kurz
SanInsKG, ist die Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung seit dem 9.
November 2022 gelockert. „Es reicht nach dem Gesetzestext bis zum 31. Dezember
2023 aus, dass ein Unternehmen nachweisen kann, dass es die nächsten vier
Monate durchfinanziert ist, um keinen Insolvenzantrag wegen Überschuldung
stellen zu müssen“, erläutert Dr. Jürgen Erbe. Der Fachanwalt für Insolvenz-
und Sanierungsrecht ist am Mannheimer Standort der bundesweit vertretenen
Kanzlei Schultze & Braun tätig.
Zwölf statt vier Monate, um auf Nummer Sicher zu gehen
Vor dem SanInsKG war die sogenannte Fortführungsprognose für die nächsten zwölf Monate notwendig – wobei die Vergangenheitsform in diesem Zusammenhang ab dem Monatswechsel de facto der Vergangenheit angehört. „Denn ausschlaggebend ist nicht allein der viermonatige Zeitraum an sich, sondern auch der Zeitpunkt, an dem die vier Monate vorüber sind. Und der liegt ab dem 1. September in jedem Fall nach dem Jahreswechsel und dem Auslaufen der Regelungen des SanInsKG“, erläutert Erbe. Um auf Nummer Sicher zu gehen, sollten Geschäftsleiter daher bereits ab dem 1. September bei der Fortführungsprognose für ihr Unternehmen trotz SanInsKG nicht mehr die vier, sondern wieder die ursprünglichen zwölf Monate zu Grunde zu legen. Denn wenn für ein Unternehmen zwischen dem 1. September und dem Jahreswechsel feststeht, dass es (unmittelbar) nach dem Auslaufen der viermonatigen SanInsKG-Frist überschuldet sein wird, liegt faktisch bereits am Prüfungsstichtag die Insolvenzantragspflicht vor.
„Wenn klar
ist, dass das Unternehmen für diesen Zeitraum nicht durchfinanziert ist, müssen
Geschäftsleiter innerhalb der gesetzlichen Frist einen Insolvenzantrag stellen
– gerade auch, um sich vor einer möglichen persönlichen Haftung zu schützen“,
sagt Erbe. Die Höchstfrist für einen Insolvenzantrag wegen Überschuldung ist
mit dem SanInsKG – also bis zum Jahreswechsel – temporär von sechs auf acht
Wochen erhöht worden, damit Unternehmen etwas mehr Zeit für den Versuch einer
außerinsolvenzlichen Sanierung haben. „Für Geschäftsleiter ist aber wichtig,
dass die Frist nicht ausgeschöpft werden darf, wenn bereits zu einem früheren
Zeitpunkt feststeht, dass die Überschuldung aller Voraussicht nach nicht
beseitigt werden kann.“
Steigende Bedeutung der Überschuldung
Dass die verkürzte Fortführungsprognose-Frist zwar qua Gesetz noch bis zum 31. Dezember 2023 gilt, allerdings bereits schon vor dem Ablauf der Geltungsdauer des SanInsKG ihre praktische Relevanz einbüßt, führt dazu, dass die Überschuldung als Insolvenzgrund wieder an Bedeutung gewinnt. Die Zahlungsunfähigkeit wird aber auch weiterhin der mit Abstand häufigste Grund für Unternehmensinsolvenzen bleiben.
Da die
wirtschaftliche Erholung weiterhin auf sich warten lässt, sollten sich
Geschäftsleiter daher – so hart das zunächst klingen mag – regelmäßig auch mit
der Frage „Ist mein Unternehmen noch zahlungsfähig?“ befassen. „Denn die
Antwort auf diese Frage hat nicht nur für das Unternehmen, sondern gerade auch
für Geschäftsleiter in Bezug auf ihre persönliche finanzielle Haftung eine
große Bedeutung – zumal es durch das SanInsKG bei der Zahlungsunfähigkeit keine
Äderungen gegeben hat“, sagt Erbe, der bereits zahlreiche Unternehmen und
Geschäftsleiter in Krisensituationen beraten und unterstützt hat.
Drei statt acht Wochen
Grundsätzlich gilt: Kann ein Unternehmen seine fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr begleichen, ist es zahlungsunfähig. In einem solchen Fall ist ein Geschäftsleiter dazu verpflichtet, innerhalb der gesetzlichen Frist – in der Regel drei Wochen – einen Insolvenzantrag zu stellen.
Doch ab wann
ist ein Unternehmen aus rechtlicher Sicht zahlungsunfähig? „Zahlungsunfähigkeit
liegt nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn das Unternehmen zu
einem Stichtag zehn Prozent oder mehr seiner fälligen Verbindlichkeiten mit den
präsenten liquiden Mitteln nicht begleichen kann und diese Lücke auch nicht
innerhalb von drei Wochen unter Beachtung der in dieser Zeit fällig werdenden
Verbindlichkeiten mit den in diesem Zeitraum zusätzlich verfügbar werdenden
liquiden Mitteln schließen kann“, erläutert Diplom-Kaufmann (FH) und
Kreditanalyst Stefan Höge von Schultze & Braun am Standort Hannover.
Zahlungsunfähig oder nicht?
„Ob ein
Unternehmen zahlungsunfähig ist oder nicht, lässt sich für den jeweils
aktuellen Tag mit der sogenannten erweiterten Liquiditätsbilanz feststellen,
die als Methode seit inzwischen fast 20 Jahren etabliert ist“, sagt Höge, der
sich seit dem Jahr 1994 mit der Frage des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit
befasst. „Wenn
klar ist, dass die Geldmittel zu einem bestimmten Betrachtungsstichtag und auch
perspektivisch in den nächsten drei Wochen die fälligen Verbindlichkeiten nicht
vollständig abdecken, ist das Unternehmen bereits zum Betrachtungsstichtag
zahlungsunfähig.“ Da für die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit eine komplexe
Berechnung notwendig ist, sollten Geschäftsleiter für die Antwort auf die Frage
„Ist mein Unternehmen noch zahlungsfähig?“ durchaus professionelle Hilfe zu
Rate ziehen, damit sie das Risiko einer persönlichen Haftung für sich
reduzieren.
Vereinfachte Methode mit Risiken
„Daran ändert
auch nichts, dass der Bundesgerichtshof im Sommer 2022 in einer
Leitsatzentscheidung eine vereinfachte Methode zur Feststellung der
Zahlungsunfähigkeit ermöglicht hat, die jedoch für Unternehmen und gerade auch
für Geschäftsleiter durchaus mit Risiken verbunden ist“, sagt Höge. Nach der
BGH-Entscheidung ist es möglich, an mehreren Stichtagen innerhalb eines
dreiwöchigen Zeitraumes jeweils einen vereinfachten Liquiditätsstatus zu
erstellen. In diesem vereinfachten Status, der dem ersten Schritt der
erweiterten Liquiditätsbilanz entspricht, werden die am jeweiligen Stichtag
konkret vorhandenen Geldmittel (Kasse, Bank und an dem Tag zufließende Gelder
aus dem Einzug von Forderungen) und die konkret zum jeweiligen Stichtag
fälligen und unbezahlten Verbindlichkeiten einander gegenübergestellt. Wenn
sich an drei weiteren aufeinanderfolgenden Stichtagen innerhalb eines drei
Wochen-Zeitraumes bei dieser Gegenüberstellung herausstellt, dass die
Liquiditätslücke jeweils zehn Prozent oder mehr beträgt, gilt das Unternehmen
sogar rückwirkend ab dem ersten Stichtag als zahlungsunfähig.
Ungewollte Insolvenzverschleppung und das Damoklesschwert der Haftung
Für Geschäftsleiter erhöht die vereinfachte Methode also das Risiko einer ungewollten, aber gleichwohl strafbaren Insolvenzverschleppung. Denn sie stellen dabei erst mit dem letzten Liquiditätsstatus nach drei Wochen fest, ob ihr Unternehmen bereits zum ersten Stichtag, also drei Wochen zuvor, zahlungsunfähig war. Es ist damit bereits ein beträchtlicher Zeitraum mit eingetretener Zahlungsunfähigkeit vergangen. Es kann daher sein, dass ein Geschäftsleiter erst am letzten Tag der drei Wochen-Frist erfährt, dass er zur Vermeidung von strafrechtlicher und zivilrechtlicher Haftung noch an diesem Tag einen Insolvenzantrag stellen muss, was angesichts der dafür notwendigen Zeit quasi unmöglich ist.
Das Risiko der vereinfachten Methode liegt laut Höge zudem darin, dass sie tendenziell zu verkürzten Berechnungen führt, zukunftsgerichtete Finanzpläne als Instrumente des in der Krise gebotenen verschärften Controllings nicht einbezieht, einen Überhang an fällig werdenden Verbindlichkeiten nicht erkennen lässt und darüber hinaus kurzfristige Zahlungsstockungen nicht abbilden kann. Geschäftsleiter sollten daher auf der Grundlage der ordnungsgemäßen Buchführung weiterhin die erweiterte Liquiditätsbilanz einsetzen und die Finanzpläne berücksichtigen – gerade auch, um bei der Antwort auf die Frage „Zahlungsunfähig oder (noch) nicht?“ für ihr Unternehmen und sich selbst auf der sicheren Seite zu sein.
Grundsätzlich gilt: Geschäftsleiter sollten eine notwendige Restrukturierung oder Sanierung rechtzeitig angehen, wenn ihr Unternehmen noch Reserven hat. Wenn Gegenmaßnahmen frühzeitig eingeleitet werden, bestehen bessere Chancen auf einen erfolgreichen und nachhaltigen Ausgang. Einfach abzuwarten und auf eine baldige Besserung der Konjunktur und der wirtschaftlichen Gesamtlage zu setzen, ist keine sinnvolle Strategie. Geschäftsleiter, deren Unternehmen sich in einer Krise befindet oder absehbar darauf zusteuert – was unter anderem an der zunehmenden Ausschöpfung der gewährten Kontokorrentlinien erkennbar ist – sollten auch eine Neuaufstellung mit Hilfe der Instrumente des Sanierungsrechts zumindest als Option ansehen.
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