Trotz Insolvenzreform – Anträge führen zur Pleite
Schutzschirmverfahren greift zu kurz - TMA Deutschland fordert vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren
Ungeachtet der positiven Konjunkturentwicklung in Deutschland, hat die Anzahl der Restrukturierungsfälle im ersten Halbjahr 2013 weiter zugenommen. Die Mehrzahl der Restrukturierungsexperten rechnet mit einem weiteren Anstieg der Unternehmenskrisen. Um betroffene Unternehmen vor der Insolvenz retten zu können, bedarf es jedoch weiterer Verfahrenstechniken im Rahmen der Insolvenzreform.
Dies ist Thema der 7.Jahreskonferenz der Gesellschaft für Restrukturierung – TMA Deutschland e.V. in Frankfurt. Eineinhalb Jahre nach Einführung des ESUG (Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom März 2012) fordert die TMA Deutschland e.V. einen Nachtrag zum Gesetz in Form eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens.
Anders als erhofft, hat sich herausgestellt, dass die Insolvenzreform mit Einführung des ESUG zu kurz greift: „Die gesetzgeberische Absicht und die praktische Anwendung des ESUG klaffen diametral auseinander“, so Dr. Frank Nikolaus, Managing Partner der Investmentbank-Boutique Nikolaus & Co LLP und ehrenamtlicher Vorsitzender der Gesellschaft für Restrukturierung – TMA Deutschland e.V. „Trotz Insolvenzreform führt jeder Antrag zur Pleite“, ergänzt Nikolaus. Zwar wurde das Insolvenzverfahren durch das ESUG für die Verfahrensbeteiligten transparenter. Jedoch wird die Kapitalstruktur oftmals auf den Kopf gestellt. Denn die vom Gesetzgeber eingeführten Schutzschirmverfahren laufen immer noch wie reguläre Insolvenzverfahren mit Eigenverwaltung ab und enden bislang sämtlich im Insolvenzverfahren. Ein Schutzschirmverfahren wird in der Praxis -anders als vorgesehen- nicht nur als Warnschuss verstanden. In bislang keinem Fall signifikanter Größenordnung wurden die Absichten des Gesetzgebers befriedigt. Ein Schutzschirmverfahren räumt dem Schuldner drei Monate Schonfrist ein, in der er einen Sanierungsplan ausarbeiten muss. In dieser Zeit ist er vor Zwangsvollstreckungen geschützt. Beabsichtigt ist auch, dass innerhalb dieser dreimonatigen Schutzperiode der betreffende Gläubiger einsichtig wird und es dadurch gelingt,eine Einigung ohne tatsächliche Verfahrenseröffnung zu erzielen. In der Praxis jedoch werden alle Zahlungen eingestellt und es entstehen durch den Vertragsbruch Unsicherheiten oder zerstören das Vertrauen der Geschäftspartner. Die Pleite ist vorprogrammiert.
Das Fazit der ersten eineinhalb Jahre: Das ESUG greift in der Praxis zu kurz und es bedarf dringend einer Nachjustierung durch ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren. Dies könnte ein Werkzeug sein, um die volle Zahlungsfähigkeit im operativen Geschäft sicherzustellen.
Weiterhin käme dem Unternehmen zugute, dass die Öffentlichkeit weitgehend gemieden werden könnte und somit keine Stigmatisierung eines betroffenen Unternehmens stattfände. Der Rutsch in die Pleite könnte durch solche Maßnahmen vermieden werden. In Großbritannien ist dies durch das Scheme of Arrangement, das Company Voluntary Arrangement und in Frankreich durch die procédure de conciliation ebenfalls möglich.
Des Weiteren sind im Praxisalltag Schwierigkeiten mit der durch das ESUG neu definierten Rolle der Gläubiger im Falle einer Insolvenz entstanden. Was früher das lokal zuständige Gericht entschieden hat, nämlich welcher Insolvenzverwalter eingesetzt werden soll, ist heute Aufgabe eines Gläubigerausschusses. Dieser bildet sich aus je einem Vertreter jeder Gläubigergruppe. Sie können auch entscheiden, ob das Management in Eigenverwaltung seine Insolvenz betreiben darf. Dadurch sollte ein Anreiz geschaffen werden, dass die Schuldner frühzeitig den Antrag zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen und nicht erst, wenn der Absturz schon absehbar ist. So wünschenswert es ist, den Gläubigern dieses Mitspracherecht zu gewähren, so problematisch ist es in der Praxis. Die TMA Deutschland unterstützt die Einführung des Gläubigerausschusses grundsätzlich sehr. Jedoch hatte sie bereits in den Stellungnahmen zum ESUG gefordert, dass für Entscheidungen des Gläubigerausschusses keine Einstimmigkeit notwendig sein sollte. Genau das ist aber gegenwärtig oft das Problem. Denn die Gläubiger sind oft uneins und haben unterschiedliche Interessen. Dies führt dann zu Auseinandersetzungen und Verzögerungen, wodurch im Zweifel die Insolvenz einer Firma beschleunigt wird. Weiterhin problematisch ist auch, dass ein vom Gläubigerausschuss bestellter Sachwalter oftmals als „Restrukturierungsexperte“ eingesetzt wird, auch wenn er zuvor lediglich Erfahrungen als Insolvenzverwalter gemacht hat. Dies hat überwiegend negative Folgen. TMA Deutschland sieht die Lösung dieses Problems in qualifizierten Turnaround Professionals. Dadurch kann mehr Qualität in der Sanierungs- und Restrukturierungsberatung gewährleistet werden.
„Das Turnaround-Management muss den Erhalt und die Wiederherstellung von Unternehmenswerten in den Fokus stellen. Es muss möglich sein, ungehindert leistungswirtschaftlich zu sanieren und finanziell ohne Insolvenz zu restrukturieren.“, so Dr. Frank Nikolaus, TMA Deutschland e.V. Gegenwärtig wird all das trotz der neuen Transparenz, die durch das ESUG geschaffen wurde, untergraben. Die Einführung eines vorinsolvenzlichen Verfahrens hingegen könnte dies gewährleisten.
Schlussendlich müssen auch kulturelle Verhaltensmuster im europäischen Kontext angepasst werden. „Einheitliche Gesetze und auch eine einheitliche Trading-Mentality würden vielen Unternehmen in der Krise helfen, die auch Verpflichtungen und Standorte in anderen kontinentaleuropäischen Ländern haben“, so Dr. Leonhard Plank, Partner bei Kirkland & Ellis International LLP und Mitglied des erweiterten Vorstands der TMA-Deutschland. Denn multinationale Unternehmen, die in mehreren Ländern operieren, sind unterschiedlichen Insolvenzordnungen der jeweiligen Länder unterworfen. Dies kann zu dem leidlichen Resultat führen, dass in einem Land bereits eine Insolvenz angemeldet werden muss, während in einem anderen noch Restrukturierungsmaßnahmen vorgenommen werden können. TMA Deutschland setzt sich für eine EU-Harmonisierung mit einheitlichen Rahmenbedingungen und Regeln ein, um Unternehmens-Know-how, Industrieinfrastruktur, Lieferanten- und Kundenbeziehungen zu erhalten und Arbeitsplätze zu sichern. Dadurch wäre auch auf europäischer Ebene mehr Verfahrenssicherheit gewährleistet.
Im Rahmen des internationalen Berufsverbands Turnaround Management Association ist die Gesellschaft für Restrukturierung – TMA Deutschland e.V. der deutsche Berufsverband der Restrukturierungsexperten. Ziel des Verbandes ist es, die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen in dem Bereich der Unternehmensrestrukturierung und –sanierung sowie der sanierenden Unternehmensinsolvenzen in Deutschland zu optimieren. Im Rahmen der monatlichen Fachveranstaltungen wird der Austausch und die internationale Zusammenarbeit der derzeit rund 200 Mitglieder gefördert. Der TMA Deutschland gehören Vertreter aller namhaften Organisationen aus den Bereichen Unternehmensberatung, Rechtsberatung, Wirtschaftsprüfung und Corporate Finance an, die in Restrukturierungsfällen aktiv sind.
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