12.08.2020 - Kategorie "Insolvenzgeschehen allgemein"

Stark rückläufig: Drastischer Rückgang bei den Unternehmensinsolvenzen von 29,1 %

Rückgang bei den Unternehmensinsolvenzen von 29,1 Prozent

BMJV muss diese Fehlentwicklung dringend korrigieren


Das Statistische Bundesamt prognostiziert für Juli 2020 einen drastischen Rückgang der eröffneten Unternehmensinsolvenzen von 29,1 Prozent. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht führt zu weniger Insolvenzen – auch bei Unternehmen, die nicht pandemiebedingt in eine wirtschaftliche Schieflage geraten sind. Eine Fehlentwicklung, die dringend korrigiert werden muss. Insbesondere dann, wenn staatliche Hilfsmaßnahmen aufgelegt oder verlängert werden sollen.

 

Mit heutiger Pressemitteilung* hat das Statistische Bundesamt die aktuellen Insolvenzzahlen für den Monat Mai 2020 und eine Prognose für Juli 2020 veröffentlicht. Demnach haben die deutschen Insolvenzgerichte im Mai 9,9 Prozent weniger eröffnete Unternehmensinsolvenzverfahren als im Vorjahreszeitraum verzeichnet. Der rückläufige Trend soll sich nach Einschätzung des Statistischen Bundesamtes im Juli 2020 noch deutlich verstärken. Es wird dann voraussichtlich 29,1 Prozent weniger eröffnete Unternehmensinsolvenzverfahren geben.

 

Die Bundesjustizministerin hat demgegenüber am vergangenen Freitag eine Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für überschuldete Unternehmen bis zum 31.03.2021 vorgeschlagen. Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn die Unternehmen bereits zahlungsunfähig sind.

 

Der prognostizierte Rückgang der Unternehmensinsolvenzen um fast 30 Prozent für den Juli 2020 im Vergleich zum Vorjahresmonat zeigt, dass der Gesetzgeber in seinem Bemühen um die Vermeidung einer Insolvenzwelle zu weit gegangen ist. Gratmesser ist insoweit das Jahr 2019, welches bei einer guten wirtschaftlichen Gesamtsituation zu einem historischen Tiefstand der eröffneten Insolvenzverfahren geführt hatte.** Setzt sich der vom Statistischen Bundesamt prognostizierte Trend im Jahr 2020 noch weiter fort, so wird dieser Niedrigstwert aus dem Vorjahr trotz der größten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit sehr deutlich unterschritten.

 

„Der deutliche Rückgang der eröffneten Unternehmensinsolvenzen zeigt, dass auch Unternehmen durch die Aussetzung der gesetzlichen Regelungen geschützt werden, die nicht pandemiebedingt in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind. Diese Fehlentwicklung muss vor allem im Interesse der Gläubiger, und zu diesen gehören auch die Arbeitnehmer der betroffenen Unternehmen, korrigiert werden. Die von der Bundesjustizministerin vorgeschlagene nur schrittweise Rückkehr zur Insolvenzantragspflicht ist daher nicht der richtige Weg,“ erklärt Dr. Christoph Niering, Insolvenzverwalter und Vorsitzender des Berufsverbandes der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID).

 

Das deutsche Insolvenzrecht hat sich zu einem sanierungsorientierten Insolvenzrecht entwickelt. Schutzschirmverfahren und Insolvenzplan ermöglichen vielen Unternehmen sich über ein Insolvenzverfahren neu aufzustellen. Von zentraler Bedeutung ist dabei auch, dass die betroffenen Unternehmen ihr insolventes Scheitern erkennen und sich so früh als möglich über ein Insolvenzverfahren sanieren.

 

„Allem Anschein nach ist bei den deutschen Unternehmern der Eindruck entstanden, dass derzeit die Verpflichtung Insolvenzantrag stellen zu müssen ganz ausgesetzt ist. Die damit verbundenen Haftungsrisiken, auch die strafrechtlichen Risiken, werden von vielen Unternehmern nicht gesehen. Dabei wird insbesondere verkannt, dass das Insolvenzverfahren nicht dem Unternehmer, sondern vor allem den Gläubigern dient. Letztendlich soll durch das Insolvenzverfahren der Schaden beteiligter Gläubiger so gering wie möglich gehalten werden,“ so Niering weiter.

 

Ein weiteres Hinauszögern der Insolvenzantragspflichten würde die Risiken auf die Gläubiger verlagern, die außerhalb von Insolvenzverfahren ihre Gläubigerrechte nur sehr viel schlechter durchsetzen können. Anders als Sozialversicherungsträger und Finanzbehörden müssen Gläubiger kosten- und zeitaufwendig ihre Rechte etwa zur Räumung einer Gewerbeimmobilie oder zur Herausgabe ihrer Eigentumsvorbehaltsware gerichtlich durchsetzen und am Ende auch noch auf eigene Kosten einen Gerichtsvollzieher beauftragen. Nicht selten geraten sie hierüber selbst in wirtschaftliche Schwierigkeiten oder in eine Insolvenznähe.

 

Problematisch ist auch der Umstand, dass die sogenannten Profigläubiger, und hierzu gehören die Finanzbehörden und die Sozialversicherungsträger, trotz der wieder bestehenden rechtlichen Möglichkeiten weiterhin kaum Insolvenzanträge stellen. „In der Vergangenheit war gerade den Finanzbehörden und den Sozialversicherungsträgern sehr daran gelegen über das Insolvenzverfahren die Schäden für den Steuerzahler und die Kassen zu begrenzen. Anderen Gläubigern fällt es deutlich schwerer, bei bestehender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung diese auch gerichtsfest nachweisen zu können. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflichten sollte deshalb zum 30.09.2020 endgültig auslaufen. Flankiert von dem derzeit diskutierten vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahren und einer finanziellen Stützung der Sanierung über ein Insolvenzverfahren könnten sich die betroffenen Unternehmen dann so schnell wie möglich sanieren und restrukturieren,“ so Niering weiter. Jede zeitliche Verzögerung gefährdet die Sanierungschancen und damit den Unternehmens- und Arbeitsplatzerhalt.

 



Über den VID:

Der Verband Insolvenzverwalter Deutschlands ist der Berufsverband der in Deutschland tätigen Insolvenzverwalter. Mit mehr als 470 Mitgliedern vertritt er die überwiegende Mehrheit dieser Berufsgruppe. Die Mitglieder verpflichten sich auf „Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung“ und zur Zertifizierung nach ISO:9001. Damit setzt der Verband Maßstäbe für eine unabhängige, transparente und qualitativ anspruchsvolle Insolvenzverwaltung. Voraussetzung für die Mitgliedschaft ist eine mindestens dreijährige Tätigkeit als Unternehmensinsolvenzverwalter.

 

 

 


Bild: © geralt / pixabay

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