Sonja Steffen: "Faire Kommunikation ist wichtig"
Die Ombudsfrau der Inkassowirtschaft im Interview
Als Ombudsfrau schlichtet Sonja Steffen Streitigkeiten zwischen Inkassounternehmen und Verbrauchern. Steffen ist Fachanwältin für Familienrecht und Expertin für Migrationsrecht. Von 2009 bis 2021 saß sie für die SPD im Deutschen Bundestag. Dort war sie unter anderem als Justiziarin der Bundestagsfraktion tätig.
Frau Steffen, am 26. April 2023 wurden Sie von den Mitgliedern des BDIU zur Ombudsfrau der Inkassowirtschaft gewählt. Was hat Sie dazu bewogen, diese Aufgabe zu übernehmen?
Als Rechtsanwältin habe ich schon viele Jahre mit rechtlichen Streitigkeiten zu tun. Dazu gehören auch zivilrechtliche Forderungen. Diese durchzusetzen, aber auch abzuwehren, ist mir bestens vertraut. Als Ombudsfrau kann ich die Erfahrungen einbringen und nach fairen Lösungen suchen.
Sie haben die Nachfolge von Brigitte Zypries angetreten. Was hat Ihnen Ihre Vorgängerin über diese Aufgabe erzählt - und was hat Sie an dieser Herausforderung besonders gereizt?
Ich kenne und schätze Frau Zypries schon viele Jahre als eine Person, die für den sozialen Ausgleich kämpft und nach pragmatischen Lösungen sucht. Während unserer gemeinsamen Zeit in der Bundestagsfraktion habe ich sie überdies als eine Kollegin kennengelernt, für die Fairness und Zusammenarbeit sehr wichtig sind. Diese Eigenschaften hat sie als Ombudsfrau des BDIU eingebracht. Sie hat auch runde Tische organisiert, Treffen zwischen der Inkassobranche und den Verbraucherschutz-Verbänden und Schuldnerberatungen, die zu einer besseren Kommunikation führten. Eine sehr gute Sache, denn Kommunikation ist auch und gerade bei widerstreitenden Interessen sehr wichtig.
Diese Aufgabe reizt mich: miteinander ins Gespräch kommen und mitwirken, dass Probleme ausgeräumt werden können.
Inkassounternehmen wird gelegentlich vorgeworfen, eine überlegene Machtposition gegenüber Schuldnern auszunutzen. Beobachten Sie so etwas?
Ich habe als Anwältin den Eindruck gewonnen, dass zu viele Märchen über Inkassounternehmen kursieren. Das ist überhaupt nicht hilfreich. Denn Inkassounternehmen sind keine ruchlosen Ganoven, denen skrupellos jedes Mittel recht ist, um die Schuldner*innen zum Zahlen zu bewegen. Sie werden von Gläubigern beauftragt, bestehende Forderungen auf rechtlich zulässigem Weg durchzusetzen. Sollte es nicht zu einer Einigung kommen, dann klären Gerichte die Angelegenheit.
Ich erkenne keine überlegene Machtposition. Sofern Inkassounternehmen unlautere Mittel anwenden, gehört es zu meinen Aufgaben, diese zur Ordnung zu rufen.
Wer Schulden hat, traut sich manchmal nicht, Gläubigern oder Inkassounternehmen zu sagen, dass die persönliche Situation der Grund für die ausbleibenden Zahlungen ist. BDIU-Präsidentin Kirsten Pedd ermutigt mit ihrem Motto "Reden hilft" dazu, immer das offene Gespräch zu suchen. Wer hat recht?
Frau Pedd hat so recht mit ihrem Motto. Auch ich möchte Schuldner*innen ermutigen, mit den Inkassounternehmen zu kommunizieren. Denn auch sie und ihre Auftraggeber sind an pragmatischen Lösungen interessiert. Ich verstehe, dass die Offenlegung finanzieller Engpässe die Überwindung einer Schamgrenze bedeutet. Andererseits ist es in der heutigen Zeit nicht mehr peinlich, sondern es gehört zum Leben, dass es finanziell auch einmal nicht so gut läuft.
Sie sind nun seit einigen Monaten als Ombudsfrau tätig. Mit welchen Fällen befassen Sie sich?
Die Beschwerden beschäftigen sich häufig - das scheint ein unsichtbarer roter Faden des Interviews zu sein - mit der mangelhaften Kommunikation. Und da sehe ich Luft nach oben seitens der Inkassounternehmen. Wer mag schon gern, immer wieder die gleichen Textbausteine in Form von Computer-Briefen zu erhalten, wenn man sich vorher viel Mühe gemacht hat, das individuelle Problem zu schildern? Und wer ist gern stundenlang in einer Warteschleife am Telefon? Direkte und individuelle Kommunikation mit den Inkassounternehmen ist so hilfreich. Ärgerlich ist auch, wenn bereits eine Schuldnerberatung den Fall übernommen hat und das Inkassounternehmen dennoch weiter mit der Schuldner*in kommuniziert.
Was raten Sie Menschen, die ihre Rechnungen nicht bezahlen können? Wie sollen sie sich verhalten?
Sehr schnell den Kontakt zum Gläubiger suchen und dabei direkt das bestehende Problem ansprechen. Das mag Überwindung kosten, aber es führt oft zu einem Kompromiss und erleichtert ungemein. Nichts ist schlimmer, als die Decke über den Kopf zu ziehen und hoffen, dass sich alles in Luft auflöst. Das tut es nämlich nicht, sondern diese Taktik bringt um den Schlaf und macht im schlimmsten Fall sogar krank.
Alle BDIU-Mitglieder haben sich auf einen Code of Conduct für faires Inkasso geeinigt. Wie beurteilen Sie diesen Verhaltenskodex? Bewähren sich die Regeln in der Praxis?
Ich bin große Befürworterin des Codes of Conduct. Es ist natürlich auch Sinn und Zweck eines solchen Codes, dass seine Befolgung freiwillig ist. Wie immer im Leben muss man davon ausgehen, dass nicht jedes Inkassounternehmen jede Regel des Codes befolgen wird. Als Ombudsfrau sehe ich es auch als meine Aufgabe, die Befolgung der Verhaltensregeln nachdrücklich zu verlangen.
Sie befassen sich auch mit Migrations- und Ausländerrecht. Sicherlich kommt es auch vor, dass Migranten Mahnschreiben erhalten. Helfen Sie dabei?
Ja, tatsächlich geschieht das öfter, zum Beispiel bei Handyverträgen, dass Menschen, die sich mit der deutschen Sprache nicht gut auskennen, Verträge abschließen, die sie aufgrund ihrer prekären Situation überhaupt nicht erfüllen können. Hier habe ich häufig mit den Gläubigern gute Lösungen finden können. Niemand ist an überflüssigen Gerichtsverfahren interessiert, die zwar oft in einem vollstreckbaren Titel enden, aber nicht durchgesetzt werden können.
Was raten Sie Menschen, die zum ersten Mal ein Inkassoschreiben erhalten haben und nicht wissen, wie sie darauf reagieren sollen?
Erst einmal will ich beruhigen. Inkasso-Unternehmen sind nicht die Mafia. Also die Kommunikation suchen und in dem Fall, dass das nicht so ihr Ding ist, einen Termin mit der Schuldnerberatung vereinbaren. Oder aber auch den Anwalt oder die Anwältin aufsuchen, das hat aber nur Sinn, wenn tatsächlich ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Forderung bestehen. Wir haben ein gutes und soziales Rechtssystem. Auch Menschen ohne großes Einkommen können mit Hilfe eines Beratungshilfescheins anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen.
Haben Sie durch Ihre Tätigkeit als Ombudsfrau etwas Neues über Inkassounternehmen erfahren?
Ja! Ich hätte nicht gedacht, wie bestrebt der BDIU und die Mitglieder sind, sinnvolle Verbesserungen im Bereich des Zahlungsverkehrs zu erreichen. Es ist in der heutigen Zeit möglich, Verträge innerhalb von Sekunden abzuschließen. Finanzielle Transaktionen werden mit einem Finger auf dem Smartphone erledigt. Da bedarf es vernünftiger Wege, zu verhindern, dass mit dieser Geschwindigkeit zu viele finanzielle Desaster angerichtet werden.
Über den BDIU
Im Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen e.V. sind rund 500 Unternehmen des Forderungsmanagements organisiert. Sie vertreten die Interessen von gut 500.000 Auftraggebern aller relevanten Branchen in Deutschland, denen sie pro Jahr rund 6 Milliarden Euro an ausstehenden Forderungen wieder zurückführen. Seit dem 1. Oktober 2021 gilt für alle BDIU-Mitgliedsunternehmen ein Code of Conduct für faires Inkasso, dessen Einhaltung von der Ombudsfrau des Verbands, der ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sonja Steffen, überwacht wird.
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