Referentenentwurf zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts
Einschätzungen zu Chancen und Risiken
Das BMJV hat den lang ersehnten Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts veröffentlicht. Der Entwurf umfasst den Vorschlag zur Umsetzung der EU-Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz. Darüber hinaus nimmt er wichtige Anpassungen des Sanierungs- und Insolvenzrechts in den Bereichen ESUG und der Digitalisierung von Insolvenzverfahren vor. Auch die Sondersituation der COVID-19-Pandemie wird im neuen Gesetz berücksichtigt. Der Berufsverband der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) unternimmt eine erste Bewertung des SanInsFoG.
Der am Freitagabend veröffentlichte Referentenentwurf* des Bundesjustizministeriums umfasst deutlich mehr als die reine Umsetzung der EU-Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz. Brüssel hatte den europäischen Gesetzgebern aufgegeben bis Mitte 2021 die Richtlinie in das nationale Recht umzusetzen. Der Berufsverband der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) begrüßt diesen umfassenden Ansatz: Denn der Referentenentwurf adressiert über die Richtlinie hinaus auch die Ergebnisse der ESUG-Evaluierung und die Präzisierung der Insolvenzgründe.
Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG
„Das neue Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG ist das eigentliche Herzstück der Reform“, erläutert Dr. Christoph Niering, Vorsitzender des Berufsverbandes. „Es wird vor dem aktuellen Hintergrund auch daran gemessen werden, wie gut es mit COVID-19 Unternehmenskrisen umgehen kann“, so Niering weiter. Der Entwurf sieht die Einführung eines Präventivverfahrens vor, das Unternehmen eine Möglichkeit zur Sanierung außerhalb der Insolvenz bietet.
Besonders begrüßt der VID, dass Wert auf ein Frühwarnsystem gelegt wird, welches die Organe aber auch die Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in die Pflicht nimmt (§ 1 StaRUG und Art. 19 und 21 SanInsFoG). Es wird hoffentlich dazu führen, dass Unternehmen früher darüber nachdenken, die Möglichkeiten der Restrukturierung oder auch der Insolvenz in Anspruch zu nehmen.
Grundsätzlich bleibt der Entwurf des StaRUG weitgehend im Fahrwasser der Richtlinie, wie ihn die EU vorgesehen hat. Er bringt aber an einigen Stellen auch Besonderheiten, die entweder so von der Richtlinie nicht vorgezeichnet sind (nationale Gestaltungsspielräume) oder von dem Regelungsprogramm der Richtlinie nicht eingefordert werden.
Ausgenommen von einer Restrukturierung werden nach § 6 StaRUG Forderungen von Arbeitnehmerinnen aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, einschließlich der Rechte aus Zusagen auf betriebliche Altersversorgung. Damit konzentriert sich ein Restrukturierungsverfahren im Wesentlichen auf alle Finanzverbindlichkeiten, die in einem Insolvenzverfahren voraussichtlich nicht vollständig erfüllt würden.
VID-Vorsitzender Niering sieht bei einer Vielzahl von Regelungen im StaRUG noch offene Detailfragen und Klarstellungsbedarf, um nicht gleich zu Beginn die Funktionsfähigkeit der Neuregelung durch gerichtliche Auseinandersetzungen zu gefährden. Daneben werden zahlreiche detaillierte Anforderungen an Restrukturierungspläne und die Bildung von Gläubigergruppen formuliert. „Diese Komplexität könnte trotz einer angekündigten Checkliste eine Anwendung des geplanten Restrukturierungsverfahrens im KMU-Bereich erschweren“, so Niering.
Kritisch sieht der VID die Vorschriften der §§ 49 ff. StaRUG, wonach Schuldner zukünftig eine Beendigung (Kündigung) von laufenden Verträgen im Restrukturierungsverfahren gerichtlich durchsetzen können. „Das Vertragsrisiko von Vermietern, Leasinggebern, Lieferanten, etc. wird dadurch erheblich gesteigert und die wirtschaftlichen Folgen nur unzureichend aufgefangen“, erläutert der Vorsitzende die Kritik seines Berufsverbandes.
Sinnvoll ist dagegen, die von der EU-Richtlinie geforderte sog. Stabilisierungsanordnung in §§ 53 ff. StaRUG, mit der das Restrukturierungsgericht die Verhandlungen des Schuldners mit seinen Gläubigern unterstützen kann, indem es für die Dauer von höchstens drei Monaten Vollstreckungen oder Verwertungen beschränkt.
Ein neues Parallelverfahren der Sanierungsmoderation orientiert sich an einem französischen Vorbild und soll in einfacheren Fällen einen Sanierungsvergleich ermöglichen, der ebenfalls durch ein Gericht bestätigt werden kann.
Überarbeitung des ESUG
Die im Entwurf vorgestellte Überarbeitung des ESUG geht grundsätzlich in die richtige Richtung, da viele Ergebnisse der Evaluierung Berücksichtigung gefunden haben. Für den Berufsverband sind allerdings einige Änderungen kritisch zu hinterfragen, da sie u.a. nicht für die notwendige Klarheit sorgen. So hat zum Beispiel die Forderung des VID einer Präzisierung des Einstiegs in das Eigenverwaltungsverfahren Berücksichtigung gefunden. Leider wird diese aber sofort mit Ausnahmeregelungen relativiert, die rechtssichere Entscheidungen schwierig machen.
Digitalisierung
Der VID sieht die Ansätze zur Digitalisierung als zu zaghaft. Insbesondere im Bereich der Forderungsanmeldungen und der Zustellungen besteht ohne weiteres einfacher, da schnell umsetzbarer Nachbesserungsbedarf. Der Berufsverband hatte bereits 2018 konkrete Vorschläge an den Gesetzgeber formuliert, die ein einfacheres und zugänglicheres Verfahren ermöglichen. Die Bundesregierung hatte diesen Ansatz auch im Koalitionsvertrag übernommen. Gerade durch die Einschränkungen der COVID-19-Pandemie ist der fehlende Digitalisierunsgrad bei Insolvenzverfahren besonders aufgefallen – eine Gelegenheit diesen Rückstand nun zügig aufzuholen.
Steuerforderungen
Zu begrüßen ist, dass die Ungleichbehandlung in Bezug auf die Steuerforderungen im Sinne der Gleichbehandlung bei Regel- und Eigenverwaltungsverfahren beendet werden sollen (§ 55 IV InsO). Eine nicht gerechtfertigte steuerliche Bevorzugung, die jetzt zurückgenommen wird.
Insolvenzgründe
Der Gesetzgeber hält an den Insolvenzgründen der drohenden Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung fest, konkretisiert sie jedoch in einem begrüßenswerten Schritt, der auch ihre praktische Handhabung vereinfachen wird.
Die Grenze zur Zahlungsunfähigkeit erscheint jedoch problematisch, weil sie nach dem Wortlaut des Entwurfs auch unmittelbar nach Eintritt in das Verfahren überschritten werden kann. Realisiert sich das Risiko der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach Eintritt in ein Restrukturierungsverfahren trotz der Inanspruchnahme von verfahrensbegleitenden Stabilisierungsinstrumenten dann soll dies nicht zwingend zu einem Insolvenzverfahren führen, wenn zumindest ein Sanierungskonzept vorliegt, das „hinreichende Aussichten auf Umsetzung“ hat. Ein Nachweis entsprechender Liquiditätsreserven, wie ihn der VID im Vorfeld des Entwurfs mehrfach gefordert hatte, ist als Vorkehrung gegen solche Fälle nicht vorgesehen.
Ein echter Neustart für Freiberufler und Solo-Selbständige fehlt
Durch die Coronakrise leben viele Unternehmer, Selbstständige und Freiberufler in großer Sorge um ihre wirtschaftliche Existenz. Für viele Betroffene bedeutet dies, dass sie einen wirtschaftlichen Neuanfang brauchen und sich auch im Wege der privaten Insolvenz von ihren Schulden befreien müssen. Der Referentenentwurf sieht leider keine spezifischen Erleichterungen für diese Unternehmer vor, sondern bietet mit dem Restrukturierungsverfahren eine Möglichkeit zum Insolvenzpräventivverfahren an, die für viele Einzelunternehmer und Selbständige zu komplex sein wird. Der VID hatte im Juni Vorschläge für einen „echten Neustart“ gemacht. Die geplante Verkürzung der Restschuldbefreiung auf drei Jahre ab Antragstellung wird nur einen beschränkten Beitrag dazu leisten, die Perspektive des Neuanfangs zu stärken. Die Vorschläge durch eine erleichterte Freigabe selbstständiger Tätigkeiten ist die Basis für ein überzeugendes Angebot an die Betroffenen. Mit ihrer Hilfe wäre schon in der Phase der Restschuldbefreiung ein Neustart möglich.
Berufsrecht weiter ohne Berücksichtigung
Das Thema Berufsrecht für Insolvenzverwalter hat leider keine Berücksichtigung im Referentenentwurf gefunden. Der Gesetzgeber hat mit diesem Vorschlag den Versuch unternommen die wichtigen Themen wie die Anpassungen im ESUG und der Ausnahmereglungen des COVInsAG, die Umsetzung der Richtlinie und die Digitalisierung in einem Paket anzugehen. Auch das Berufsrecht hätte in Grundzügen angelegt werden können, wie es die Richtlinie oder der Koalitionsvertrag vorsehen. Jetzt umso mehr, wo das SanInsFog neue Rollen wie den Restrukturierungsbeauftragten oder den Sanierungsmoderator für den Berufstand vorsieht. Der VID hat zuletzt im Juli einen schlanken Vorschlag für eine Neuregelung des Berufsrechts vorgelegt, der auch im Rahmen einer Verordnung ohne weiteres geregelt werden könnte.
Anpassung der Ausnahmereglungen des COVInsAG
Art. 10 des SanInsFoG unternimmt den Versuch einer Anpassung der Ausnahmereglungen, die durch das COVInsAG geschaffen wurden und will gleichzeitig für COVID-geschädigte Unternehmen den Zugang zum neuen Restrukturierungsverfahren und zur Eigenverwaltung erleichtern. Dazu sollen die Ausnahmevorschriften des COVInsAG teilweise entgegen der gerade vom Bundestag beschlossenen Begrenzung auf das Jahresende 2020 bis Ende 2021 verlängert werden. Eine bestehende Zahlungsunfähigkeit soll die Erlangung eines Schutzschirms nicht verhindern, wenn sie erst nach dem 1.1.2020 eingetreten ist und in dem davor abgeschlossenen Geschäftsjahr Gewinne erwirtschaftet wurden. „Diese Ausdehnung der Ausnahmeregeln erscheint problematisch, weil sie eine Zahlungsunfähigkeit begünstigt, die trotz staatlicher Hilfsprogramme und Liquiditätshilfen eingetreten ist und nicht mehr in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Ausbruch der Coronakrise steht“, so Niering.
Über den VID:
Der Verband Insolvenzverwalter Deutschlands ist der Berufsverband der in Deutschland tätigen Insolvenzverwalter. Mit mehr als 470 Mitgliedern vertritt er die überwiegende Mehrheit dieser Berufsgruppe. Die Mitglieder verpflichten sich auf „Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung“ und zur Zertifizierung nach ISO:9001. Damit setzt der Verband Maßstäbe für eine unabhängige, transparente und qualitativ anspruchsvolle Insolvenzverwaltung. Voraussetzung für die Mitgliedschaft ist eine mindestens dreijährige Tätigkeit als Unternehmensinsolvenzverwalter.
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