Großinsolvenzen im Abwärtstrend
Insolvenz-Report: Insolvenzwelle verschoben
Die vielfach
erwartete Insolvenzwelle wird in diesem Jahr nicht mehr kommen. Nach einem
dramatischen Anstieg im zweiten Quartal 2020 um 29 Prozent auf 61 Insolvenzen
gingen die Anmeldungen in den Folgemonaten wieder deutlich zurück. Zwischen
Juli und September verzeichneten die Amtsgerichte lediglich 31 Insolvenzanträge
von Großunternehmen mit einem Umsatz größer 20 Mio. Euro. Das entspricht einem
Rückgang von 49 Prozent. Dies zeigt der Finance-Insolvenzreport „5 nach 12“ der
Unternehmensberatung Falkensteg.
Der Einbruch in
den Umsatzsegmenten ist durchaus unterschiedlich. Bei Unternehmen mit Umsätzen
über 100 Millionen Euro fielen die Insolvenzen von Zwanzig auf Acht. Bei Firmen
mit Erlösen von 50 bis 100 Millionen Euro sanken die Insolvenzzahlen von 15 auf
Sieben. Viele Insolvenzen gab es weiterhin bei Unternehmen mit 20 bis 50
Millionen Euro Umsatz. Hier verzeichneten die Gerichte noch 16 Verfahren
gegenüber dem zweiten Quartal mit 26. Trotz der schwersten Wirtschaftskrise in
diesem Jahrhundert sind die Firmenpleiten von Januar bis September gegenüber
dem Vorjahreszeitraum nur um 76 Prozent auf 138 Großinsolvenzen angestiegen.
Die Befürchtungen der Experten lagen deutlich höher.
Kurzarbeitergeld
und staatliche Hilfskredite halten viele Unternehmen derzeit am Leben.
Zusätzlich hat die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis ins dritte
Quartal die Zahlen weiter gedrückt. „Einerseits haben die Maßnahmen die
Unternehmen vor den Corona-Folgen geschützt. Andererseits werden die
selbstregulierenden Kräfte des Marktes aufgehoben. Es werden derzeit viele tote
Geschäftsmodelle finanziert, die Unternehmen durch die Krise gerettet und ein
Schuldenberg aufgetürmt“, sieht Johannes von Neumann-Cosel, Partner von
Falkensteg, die niedrigen Insolvenzzahlen kritisch.
Um die
Wirtschaft vor diesen sogenannten Zombie-Unternehmen zu schützen, hat die
Bundesregierung einen ersten Schritt gemacht. Die Insolvenzantragspflicht für
zahlungsunfähige Unternehmen wurde zum 1. Oktober wieder eingeführt. Bis Ende
des Jahres können allerdings überschuldete Unternehmen weiterhin von der
Aussetzung profitieren.
Sanierungsmaßnahmen jetzt angehen
Ob die Firmen
schadlos durch die Krise gekommen sind und überlebt haben, werde sich erst in
rund zwölf Monaten zeigen. Von Neumann-Cosel gibt deshalb noch keine Entwarnung
für das kommende Jahr. Corona wirkt wie ein Brandbeschleuniger für die bereits
vorher angeschlagenen Branchen. Die Digitalisierung im Handel oder die
Elektrifizierung im Autosektor haben einen substanziellen Schub bekommen. Eine
Vielzahl der Unternehmen lehne sich jedoch zurück, da mit billigem Geld vom
Staat ihre Probleme verschoben werden. „Die Unternehmen müssen dringend ihre
Hausaufgaben machen und die Zeit nutzen, um aufzuräumen und ihre strategischen
sowie operativen Probleme zu lösen“, rät der Sanierungsexperte.
Konkret sieht
er den Handel in der Pflicht, denn der Teil-Lockdown trifft indirekt wieder die
Geschäfte in den Einkaufsstraßen. Die Furcht vor Ansteckung und die Schließung
von Restaurants und Cafés hält viele Konsumenten davon ab, in die Stadt zu
gehen. Vielmehr setzen sie auf Online-Shopping. Die Online-Rabattschlacht Singles‘
Day Mitte November verbuchte in der Spitze 583.000 Bestellungen pro Sekunde.
Zudem werden Corona-bedingt immer mehr Nachzügler insbesondere ältere
Mitmenschen ins Web gedrängt. „Wer den Trend im Onlinehandel verpasst hat, der
wird es in den kommenden Wochen schwer haben. Floppt zudem das
Weihnachtsgeschäft, in dem die Einzelhändler bis zu einem Drittel ihres
Jahresumsatzes erwirtschaften, dann drohen in dieser Branche viele
Insolvenzen“, so von Neumann-Cosel.
Touristik, Luftfahrt und Handel führen Branchenliste an
Deshalb
überrascht es nicht, dass Handelsunternehmen (3) neben Luftfahrtdienstleistern
(4) und Touristikfirmen (3) die Branchenliste bei den Großinsolvenzen im
dritten Quartal anführen. Touristik und Luftfahrt gehören zu den großen Krisenverlierern.
„Es wird Jahre dauern, bis die Branchen wieder die Größe vor der Pandemie
erreicht haben. Deshalb sind die Firmen gezwungen, die Kosten auf die
zukünftigen Volumina anzupassen. Um einen Mitarbeiterabbau kommt man nicht
herum. Dieser sollte nicht erst erfolgen, wenn die Kurzarbeit zu Ende geht“,
sagt Johannes von Neumann-Cosel.
Kurzarbeit im April auf Rekordniveau
Die Kurzarbeit gilt als der Rettungsanker für die angeschlagenen Unternehmen. Laut der Bundesagentur für Arbeit waren im April 2020 rund 4,9 Millionen Arbeitnehmer in Kurzarbeit, was einen Rekordwert darstellt. Seither sind die Zahlen leicht rückläufig. Der Anteil an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten stieg von 0,4 auf 13,9 Prozent. In der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise lagen die Werte deutlich darunter. Im Mai 2009 musste nur jeder zwanzigste Arbeiternehmer in Kurzarbeit, also rund 1,4 Millionen.
Besonders
betroffen waren Unternehmen aus dem Fahrzeugbau, Maschinenbau sowie Einzel- und
Großhandel. In diesen Branchen waren im Rekordmonat April jeweils zwischen
230.000 und 550.000 Arbeitnehmer in Kurzarbeit. Es gibt aber auch große
Unterschiede zwischen den Regionen. Die meisten Kurzarbeiter gab es in NRW (1,1
Millionen), Bayern (1,1 Millionen) und Baden-Württemberg (0,9 Millionen).
Süddeutschland ist wegen der hohen Abhängigkeit von der Automobil- und
Zulieferindustrie sowie dem Maschinenbau am stärksten betroffen.
Mitarbeiter in der Insolvenz
Während die
Großinsolvenzen steigen, zeigt sich über alle Unternehmensgrößen hinweg ein
rückläufiger Trend. Vor der Corona-Krise im Februar stellten laut Destatis
1.529 Unternehmen einen Insolvenzantrag, vier Monate später waren es nur noch
1.354. Das entspricht einem Rückgang von knapp zwölf Prozent. Fast unbemerkt
wächst dagegen die Zahl der Mitarbeiter, die von einer Insolvenz betroffen
sind. Waren im Februar 2020 nur 8.854 Beschäftigte von der Insolvenz ihres
Arbeitgebers betroffen, stieg die Zahl im Juni um rund 70 Prozent auf 15.169.
Die Bundesländer Niedersachsen (208 Prozent), Nordrhein-Westfalen (191 Prozent)
und Hamburg (158 Prozent) waren die Spitzenreiter. Dagegen gingen in
Brandenburg (-85 Prozent) und Schleswig-Holstein (-74 Prozent) die Zahlen
deutlich zurück.
„Allein den
Blick auf die rückläufigen Unternehmensinsolvenzen zu richten, verzerrt das
Bild über die Corona-Folgen für die Wirtschaft“, so Johannes von Neumann-Cosel.
Die Daten über die betroffenen Mitarbeiter wiesen darauf hin, dass derzeit
immer mehr größere Unternehmen in die Pleite rutschen. Abgenommen habe dagegen
die Zahl der insolventen Kleinunternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern, die in
den Vorjahren rund 65 Prozent zum Gesamtaufkommen beitrugen. Besonders diese
Firmen profitieren davon, dass „Sozialversicherungsträger und Finanzämter
zwischen März und Juni keine und danach nur wenige Fremdanträge stellten.“ Laut
Destatis beruhten für 2019 die Unternehmensinsolvenzen auf 13.120 Unternehmens-
und 5.629 Fremdanträgen.
Über den Finance-Insolvenzreport „5 nach 12“
Die Restrukturierungsberatung Falkensteg recherchiert für den Finance-Insolvenz-Report alle drei Monate das Insolvenzgeschehen. Dazu werden Informationen des Insolvenz-Portals, der Creditreform, des Statistischen Bundesamtes sowie von Insolvenzverwaltern ausgewertet und mit eigenen Analysen ergänzt.
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