Fokus auf Zweitinsolvenzen: Nachhaltigkeit von Unternehmenssanierungen
Schultze & Braun untersucht Zeitraum seit der Insolvenzrechtsreform 2012 (ESUG) - Beitrag zur Qualität und Nachhaltigkeit von Unternehmenssanierungen
Die
Warenhauskette Strauss Innovation, der Automobilzulieferer JD Norman, die
Druckerei Offizin Andersen Nexö, der Fußballverein Offenbacher Kickers, die
Nachrichtenagentur dapd, der Fahrradhersteller MIFA, der Freizeitgerätehersteller
Kettler – alle diese Unternehmen haben eines gemeinsam: Sie haben in den
vergangenen zehn Jahren mindestens zwei Mal einen Insolvenzantrag gestellt.
Oder anders formuliert: Die erste Sanierung war nicht so nachhaltig, dass die Unternehmen
danach den erneuten Gang zum Insolvenzgericht vermeiden konnten. Die Folge ist
eine Zweitinsolvenz[1]. „In unserer
Untersuchung haben wir den Fokus auf diese besonderen Verfahren gelegt. Wir
wollen herausfinden, wie erfolgreich und nachhaltig Sanierungen im Rahmen eines
Insolvenzverfahrens, einer Eigenverwaltung oder eines Schutzschirmverfahrens
sind und damit einen Beitrag zur Qualität und Nachhaltigkeit von
Unternehmenssanierungen leisten – gerade, da es bis dato aus unserer Sicht
keine vergleichbare Untersuchung zu diesem Thema gibt“, sagt Volker Böhm,
Fachanwalt für Insolvenzrecht bei Schultze & Braun, der die Untersuchung
fachlich geleitet hat.[2]
Regelinsolvenzen und ESUG-Verfahren stehen für erfolgreiche und nachhaltige Sanierungen
In diesem Jahr jährt sich das Inkrafttreten der Insolvenzrechtsreform vom 1. März 2012 (ESUG) zum zehnten Mal[3]. Daher bilden die sogenannten ESUG-Verfahren (Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren) in der Untersuchung einen Schwerpunkt. Die Kernerkenntnis ist, dass mit dem Blick auf die untersuchten Zweitinsolvenzen die ESUG-Verfahren bei der Nachhaltigkeit der Sanierung nicht per se besser abschneiden als Regelinsolvenzverfahren. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass sowohl Regelinsolvenzverfahren als auch die ESUG-Verfahren für erfolgreiche und nachhaltige Sanierungen stehen.
Zwar ist der
Anteil der Zweitinsolvenzen ohne direkten ESUG-Bezug in der Erstinsolvenz (70
Zweitinsolvenzen) im Vergleich zum Anteil mit ESUG-Bezug (44 Zweitinsolvenzen)
rund 1,6-mal so hoch. Maßgeblich ist hierbei jedoch die weitaus größere Anzahl
an Regelverfahren (70 Zweitinsolvenzen bei mindestens 54.405 vorläufige
Verfahren/Regelinsolvenzverfahren entspricht einem Wert von rund 0,0013[4]) im Untersuchungszeitraum im Vergleich zu
den Eigenverwaltungs-/ESUG-Verfahren (44 Zweitinsolvenzen bei mindestens 2.189
Eigenverwaltungen und Schutzschirmverfahren entspricht einem Wert von rund
0,02).
Nachhaltigkeits-Quote kann sich defivinitiv sehen lassen
„Die
untersuchten Zweitinsolvenzen zeigen klar, dass ESUG-Verfahren und
Regelinsolvenzen nachhaltig sind. Bei rund 2.200 Eigenverwaltungen und Schutzschirmverfahren
über zehn Jahre sind 44 Zweitinsolvenzen eine Nachhaltigkeits-Quote, die sich
definitiv sehen lassen kann. Das Gleiche gilt für die Regelinsolvenzverfahren“,
sagt Böhm, der bereits in einer Vielzahl von Sanierungen als Insolvenzverwalter
oder Sachwalter (Eigenverwaltung/Schutzschirmverfahren) tätig war. „Unsere
Untersuchung macht deutlich, dass in den Instrumentenkoffer eines Sanierers die
ESUG-Verfahren, aber genauso auch das Regelinsolvenzverfahren und die seit 2021
möglichen StaRUG-Restrukturierungen gehören. Die passende Sanierungsform sollte
für jedes Unternehmen immer individuell geprüft werden – besonders mit dem
Blick auf die Nachhaltigkeit der Sanierung,“ erläutert Böhm.
Corona bricht die „Zweitinsolvenzen-Welle“ – erneuter Anstieg in den nächsten Jahren möglich
Die
Corona-Pandemie hat umfassende wirtschaftliche Auswirkungen. Die untersuchten
Zweitinsolvenzen – der Untersuchungszeitraum wurde in „vor Corona“
(1.3.2012-1.3.2020) und „während Corona“ (1.3.2020-1.9.2021) unterteilt –
zeigen allerdings, dass die Pandemie für sanierte Unternehmen nicht zu einem
grundsätzlich volatileren Umfeld geführt hat. Die überwiegende Anzahl der
Zweitinsolvenzen (101) gibt es „vor Corona“. „Während Corona“ gibt es hingegen
nur 13 Zweitinsolvenzen. Auf Jahressicht zeigt sich zudem ein weiterer
„Corona-Effekt“: 2017, 2018 und besonders 2019 (jeweils 1.3. bis 28./29.2.) hat
sich eine „Zweitinsolvenzen-Welle“ aufgebaut. Diese „Zweitinsolvenzen-Welle“
ist im ersten „Corona-Jahr“ (1.3.2020 bis 28.2.2021) gebrochen worden. Gründe
dafür können die im Kalenderjahr 2020 rückläufige Zahl der Insolvenzen von
Kapital- und Personengesellschaften, die Corona-Finanzhilfen und die Aussetzung
der Insolvenzantragspflicht sein.
Die an sich
positive Nachricht hat jedoch auch eine Kehrseite: Das Vermeiden von
Unternehmensinsolvenzen – unterstützt durch die temporäre Aussetzung der
Insolvenzantragspflicht und die staatlichen Finanzhilfen – hat während der
Corona-Pandemie bislang einen Anstieg der Zweitinsolvenzen verhindert. „Es ist
zu befürchten, dass erforderliche Sanierungen vertagt wurden und eigentlich
insolvente Unternehmen mit staatlichen Hilfen und die Tatsache, dass aufgrund
der niedrigen Zinsen übermäßig viel Kapital im Markt ist, fortgeführt werden.
Diese Zombifizierung der Wirtschaft kann in den nächsten Jahren durchaus zu
einem erneuten Anstieg der Zweitinsolvenzen führen“, sagt Böhm.
Ursachen für Erstinsolvenz in der Regel nach fünf Jahren überwunden
Eine weitere
wichtige Erkenntnis der Untersuchung ist, dass der überwiegende Anteil der
identifizierten Zweitinsolvenzen innerhalb der ersten fünf Jahre nach der
Erstinsolvenz erfolgt ist. „Unsere Untersuchung belegt, dass es sich relativ
schnell zeigt, ob ein Unternehmen nachhaltig saniert und durch das Insolvenz-,
Eigenverwaltungs- oder Schutzschirmverfahren die Krisenursachen beseitigt
wurden. Sind nach einer Sanierung mehr als fünf Jahre vergangen, sind bei einem
sanierten Unternehmen in der Regel die Ursachen überwunden, die zur
Erstinsolvenz geführt haben“, sagt Böhm.
Zweite Chance beim ersten Mal nutzen
Ein Ziel des
Gesetzgebers ist es – nicht nur, aber eben gerade auch mit dem ESUG – dass
Unternehmen die Sanierung mit Hilfe eines Insolvenz-, Eigenverwaltungs- oder
Schutzschirmverfahrens als zweite Chance sehen und ergreifen. „Es ist jedoch
wichtig, diese zweite Chance beim ersten Mal zu nutzen“, sagt Böhm mit Blick
auf eine wichtige Erkenntnis der Untersuchung, die die Bedeutung einer
nachhaltigen Unternehmenssanierung unterstreicht: Unternehmen, die innerhalb
von fünf Jahren nach der Erstinsolvenz erneut einen Insolvenzantrag stellen
müssen, werden fast 1,5-mal häufiger abgewickelt als saniert (66
Zweitabwicklungen und 47 Zweitsanierungen, ein Verfahren nicht feststellbar).
„Die Fortführung des Unternehmens und der Erhalt möglichst vieler Arbeitsplätze stehen zurecht im Fokus einer Sanierung. Wichtig ist jedoch, in einer Sanierung immer auch an die Ursachen anzugehen, die zur Insolvenz geführt haben, sagt Böhm. „Lediglich die Passivseite der Bilanz zu reduzieren und dann operativ weiter so wie bisher vorzugehen, mag kurzfristig zu einem Erfolg führen. Um jedoch eine nachhaltig erfolgreiche Unternehmensanierung zu erreichen, darf man sich nicht davor scheuen, mitunter auch tiefgreifende Einschnitte vorzunehmen. Denn Fakt ist: Von einer nachhaltigen Unternehmensanierung profitieren am Ende alle“, fasst Böhm zusammen.
[1] Die Definition einer Zweitinsolvenz ist in der Datenbasis und dem Untersuchungsdesign auf www.nachhaltige-unternehmenssanierung.de dargestellt. Dort finden sich auch die Erkenntnisse der Untersuchung.
[2] Auf Basis von Daten der STP Business Information GmbH wurden im Zuge der Untersuchung für den Zeitraum 1. März 2012 und 1. September 2021 (jeweils rollierende Jahre vom 1.3. bis zum 28./29.2.) und der Definition einer Zweitinsolvenz 114 Zweitinsolvenzen identifiziert und untersucht. Als Beginn des Untersuchungszeitraum wurde das Inkrafttreten der ESUG-Insolvenzrechtsreform gewählt.
[3] Mit dem ESUG wurde die Eigenverwaltung, die sogenannte Sanierung in eigener Regie, für die Verfahrensbeteiligten plan- und berechenbarer. Zudem wurde das Schutzschirmverfahren eingeführt.
[4] Zweitinsolvenzen können bei Regelinsolvenzverfahren nur eingeschränkt identifiziert werden. Dieser Aspekt ist bei Erkenntnis und Einordnung berücksichtigt. Bei einer zehnfach höheren Anzahl an Zweitinsolvenzen in Regelinsolvenzverfahren (700 statt 70) würde der Wert bei rund 0,013 liegen. Ein Wert von 0,02 wird bei 1.088 Zweitinsolvenzen in Regelinsolvenzverfahren erreicht, also bei einer rund 15-fach höheren Anzahl an Zweitinsolvenzen in Regelinsolvenzverfahren. Weitere Informationen dazu sind im Untersuchungsdesign auf www.nachhaltige-unternehmenssanierung.de dargestellt.
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