EuGH schützt Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse insolventer Unternehmen im IFG-Verfahren
Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass eine nationale Aufsichtsbehörde im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) das Berufsgeheimnis wahren muss, wenn eine Person Informationen nach diesem Gesetz anfordert.
Das Einsichtsbegehren nach dem IFG falle weder unter das
Strafrecht, noch betreffe es ein zivil- oder handelsrechtliches Verfahren, so
dass die gesetzlichen Ausnahmen von dem Schutz des Berufsgeheimnisses nach Art.
54 I und II der RL 2004/39 über Märkte für Finanzinstrumente nicht vorlägen, so
der EuGH.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hatte sich im
Februar 2013 mit einem entsprechenden Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH
gewandt. Im Kern ging es um die Frage, ob das Berufsgeheimnis einer
Aufsichtsbehörde sich auch auf die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einer
Wertpapierfirma erstreckt, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet
worden ist. Ja, sagt dazu die Zweite Kammer des EuGH. Dies gelte sogar für den
Fall, dass das Geschäftsmodell der Wertpapierfirma auf strafbaren Handlungen
oder anderen schwerwiegenden Rechtsverletzungen basierte und sie deshalb
zwangsabgewickelt wird.
Mehrere Anleger der Phoenix Kapitaldienst GmbH, deren
Insolvenz im Jahr 2005 eines der größten Anlagebetrugssysteme in Deutschland
offenbarte und knapp 31 000 Anleger schädigte, hatten im Mai 2012 von der
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Einsicht in Unterlagen
über Phoenix verlangt. Im Juli 2012 kam die BaFin dem Auskunftsersuchen
weitgehend nach, verweigerte den Klägern jedoch Einsicht in den
Sonderprüfungsbericht von Ernst & Young vom 31. März 2002, die Berichte der
Wirtschaftsprüfer von Phoenix, die internen Stellungnahmen, Berichte,
Korrespondenz, Unterlagen, Absprachen, Verträge, Aktennotizen und Schreiben,
die Phoenix betrafen, sowie sämtliche interne Stellungnahmen und geführte
Korrespondenz, die nach Bekanntgabe des genannten Prüfungsberichts erstellt
wurde. Die BaFin begründete ihre Weigerung damit, dass das Gewähren dieser
Informationen ihre Kontroll- und Aufsichtsaufgaben beeinträchtige und verwies
zudem auf ihre Verschwiegenheitspflichten nach dem Kreditwesen- und dem Wertpapierhandelsgesetz.
Dagegen erhoben die Anleger Klage vor dem Verwaltungsgericht
Frankfurt, das am 11. Dezember 2012 die BaFin zunächst verpflichtete, Zugang zu
einem Teil der begehrten Informationen zu gewähren. Das Gericht ging davon aus,
dass die Interessen von Phoenix nicht schutzbedürftig seien, so dass die BaFin
Ausnahmen von ihrer Verschwiegenheitspflicht machen könne, wandte sich aber mit
dem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH. Die Luxemburger Richter folgten der
Argumentation des Gerichtes nicht.
„Dieses Urteil hat enorme Bedeutung für Insolvenzverwalter
in Deutschland“, ordnet Rechtsanwalt Andreas J. Baumert von Schultze &
Braun das Ergebnis ein. Baumert war als Prozessvertreter von
Phoenix-Insolvenzverwalter Frank Schmitt an der Verhandlung vor der Zweiten
Kammer des EuGH beteiligt. „Die Entscheidung schützt die Betriebs- und
Geschäftsgeheimnisse insolventer Unternehmen gegenüber Auskunftsersuchen nach
dem Informationsfreiheitsgesetz. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind damit
auch in der Insolvenz in einem IFG-Verfahren geschützt. Das ist entscheidend,
weil sie für Unternehmen und Insolvenzverwalter einen Wert darstellen, der
unter Umständen durch Verkauf realisiert werden kann. Das IFG-Verfahren ist
nach dieser Klarstellung des EuGH ungeeignet, die BaFin über das insolvente
Unternehmen auszuforschen, soweit deren Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
betroffen sind. Es wird daher an Reiz für Anlegerschutzanwälte in
Insolvenzverfahren verlieren.“
Nur in einem konkreten zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren kann nach dem EuGH ein Betriebs-oder Geschäftsgeheimnis einer Schuldnerin durch die Pflicht zur Vorlage von vertraulichen Informationen beeinträchtigt werden. Zudem geht das nur dann, wenn das für die Prozessführung „erforderlich“ im Sinne der Ausnahmevorschrift des § 54 II der Richtlinie 2004/39 ist, also das Begehren nicht unter Verstoß gegen das Prozessrecht auf Ausforschung gerichtet ist.
Schultze & Braun berät regional, national und international Unternehmen in der Krise in Sanierungs- und Restrukturierungsfragen und zeigt gesunden Unternehmen vorbeugende, insolvenzvermeidende Maßnahmen auf. Außerdem wird die allgemeine Rechts- und Steuerberatung von Privatpersonen und Unternehmen übernommen.
Darüber hinaus beschäftigt sich Schultze & Braun seit über 35 Jahren mit allen Fragen der Insolvenz- und Zwangsverwaltung. Bundesweit ist Schultze & Braun mehr als 40 Standorten tätig, es werden jährlich Hunderte von Insolvenzverfahren bearbeitet – von der Privatinsolvenz bis zur internationalen Großinsolvenz.
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