BGH: Mietrückstände in der Verbraucherinsolvenz des Mieters
Außerordentliche Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses wegen Zahlungsrückständen in der Verbraucherinsolvenz des Mieters - Grenzen des Zurückbehaltungsrechts wegen Mängeln der Mietwohnung
Der Bundesgerichtshof hat sich heute in einer Entscheidung zum einen mit der Frage beschäftigt, ob der Vermieter in der Verbraucherinsolvenz des Mieters eine außerordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs nach der "Freigabe" des Mietverhältnisses seitens des Insolvenzverwalters/Treuhänders (§ 109 Abs. 1 Satz 2 InsO***) auf Mietrückstände stützen kann, die bereits vor der Insolvenzantragstellung entstanden sind.
Außerdem hat sich der Bundesgerichtshof dazu geäußert, in
welchem Umfang ein Mieter neben der berechtigten Mietminderung zusätzlich Teile
der Miete gemäß § 320 Abs. 1 BGB* zurückhalten darf, solange der Vermieter
Mängel der Mietwohnung nicht beseitigt.
Der Beklagte ist seit dem Jahr 1988 Mieter einer im Eigentum
der Klägerin stehenden Wohnung. Die monatliche Gesamtmiete beträgt 530,90 €.
Auf seinen Antrag wurde am 17. Juni 2010 das
Verbraucherinsolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet. Die Treuhänderin
erklärte am 1. Juli 2010 die "Freigabe" des Mietverhältnisses nach §
109 Abs. 1 Satz 2 InsO.
Der Beklagte zahlte in den Monaten März 2009 bis Oktober
2012 keine oder nur einen Teil der Miete. Die Klägerin kündigte das
Mietverhältnis im Oktober 2012 unter Berufung auf seit März 2009 aufgelaufene
Mietrückstände in Höhe von insgesamt 14.806,36 € fristlos nach § 543 Abs. 2 Nr.
3 Buchst. b BGB**. Das Amtsgericht hat der Räumungsklage stattgegeben, das
Landgericht hat sie abgewiesen. Die vom Landgericht zugelassene Revision der
Klägerin hatte Erfolg.
Der unter anderem für das Wohnraummietrecht zuständige VIII.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Kündigungssperre
des § 112 Nr. 1 InsO**** mit Wirksamwerden der Enthaftungserklärung (auch
Freigabeerklärung genannt) nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO entfällt und eine
außerordentliche Kündigung auch auf Mietrückstände gestützt werden kann, die
vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelaufen sind.
Die Enthaftungserklärung bewirkt, dass das Mietverhältnis
nicht mehr massebefangen ist, sondern in die Verfügungsbefugnis der
Vertragsparteien zurückfällt, so dass eine Kündigung grundsätzlich möglich ist.
Sinn und Zweck der in § 112 Nr. 1 InsO geregelten Kündigungssperre stehen dem
nicht entgegen, denn die Norm dient dem Schutz der Insolvenzmasse und einer
möglichen Fortführung des Schuldnerunternehmens und gerade nicht dem
persönlichen Schutz des bei Insolvenzantragsstellung im Zahlungsverzug
befindlichen Mieters/Schuldners vor dem Verlust der Wohnung. Auch § 109 Abs. 1
Satz 2 InsO soll lediglich verhindern, dass der Mieter ein
Verbraucherinsolvenzverfahren nur um den Preis des Verlusts der Wohnung durch
die Kündigung seitens des Treuhänders einleiten kann. Der soziale Mieterschutz
wird auch im Insolvenzfall dadurch gewährleistet, dass der Mieter die
Kündigungsfolgen durch Zahlung der Mietrückstände gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz
1 BGB aus seinem pfändungsfreien Vermögen abwenden kann; auch ist eine Befriedigung
der Mietschulden von dritter Seite, insbesondere öffentlicher Stellen trotz des
laufenden Insolvenzverfahrens möglich.
Das Gleiche gilt auch während des
Restschuldbefreiungsverfahrens (§§ 286 ff. InsO).
Soweit das Landgericht dem Beklagten - neben der Minderung
der Bruttomiete in Höhe von 20% - monatlich ein Zurückbehaltungsrecht in Höhe
des vierfachen Minderungsbetrages, mithin in Höhe von 80 % zugestanden und
daher einen Zahlungsverzug insgesamt verneint hat, hat es das tatrichterliche
Beurteilungsermessen durch die schematische Bemessung und zeitlich unbegrenzte
Zubilligung des Zurückbehaltungsrechts überschritten.
Es hat die Besonderheiten des auf dauernden Leistungsaustausch gerichteten Wohnraummietverhältnisses außer Acht gelassen und ist darüber hinaus weder dem Zweck des Zurückbehaltungsrechts noch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht geworden. Das Leistungsverweigerungsrecht des § 320 BGB dient im Rahmen eines Mietverhältnisses dazu, auf den Vermieter – vorübergehend – Druck auszuüben, damit dieser – allerdings der Natur der Sache nach nur für die Zukunft – wieder eine mangelfreie Wohnung bereitstellt. Für die Zeit vor der Mängelbeseitigung wird das Äquivalenzverhältnis zwischen der (mangelhaften) Wohnung und der Miete durch die Minderung gewahrt.
Unter Berücksichtigung dessen ist es verfehlt, das Leistungsverweigerungsrecht des Wohnraummieters aus § 320 BGB ohne zeitliche Begrenzung auf einen mehrfachen Betrag der monatlichen Minderung oder der Mangelbeseitigungskosten zu bemessen. Vielmehr kann es redlicherweise nur so lange ausgeübt werden, als es noch seinen Zweck erfüllt, den Vermieter durch den dadurch ausgeübten Druck zur Mangelbeseitigung anzuhalten. Auch muss der insgesamt einbehaltene Betrag in einer angemessenen Relation zu der Bedeutung des Mangels stehen. Der Mieter ist hierdurch nicht rechtlos gestellt, denn unbeschadet des Minderungsrechts kann er u.a. auf Mangelbeseitigung klagen oder in geeigneten Fällen den Mangel – ggf. nach Geltendmachung eines Vorschussanspruchs – selbst beseitigen.
Urteil vom 17. Juni 2015 – VIII ZR 19/14
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